Die sogenannte Aktionärsrechterichtlinie II ist eine Überarbeitung der ursprünglichen Aktionärsrechterichtlinie aus dem Jahre 2007. Mit der zweiten Richtlinie, welche am 17. Mai 2017 veröffentlicht wurde, reagiert die Europäische Kommission auf die Finanzkrise des Jahres 2008, mit dem Ziel, die Corporate Governance und damit die nachhaltige Wertenwicklung der Gesellschaften und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Aktionäre zu stärken.
Nachfolgend erläutert Haroun Boucheta, Head of Public Affairs bei BNP Paribas Securities Services, die Auswirkungen der neuen Richtlinie auf Emittenten, Investoren und Vermögensverwalter sowie auf die Intermediäre, die diese betreuen.
Was sind die zentralen Aspekte der Aktionärsrechterichtlinie II und was sind die Neuerungen für Banken, Emittenten sowie Investoren und deren Vertreter?
Die erste Aktionärsrechterichtlinie wurde am 11. Juli 2007 veröffentlicht und bis zum 3. August 2009 von den europäischen Staaten in nationales Recht übertragen. In erster Linie richtete sich diese Richtlinie gegen missbräuchliche Anfechtungsklagen und führte Maßnahmen ein, die die Präsenz in den Hauptversammlungen und die Ausübung von Aktionärsrechten nachhaltig stärken sollten. So wurden u.a. elektronische Möglichkeiten der Partizipation in Hauptversammlungen und Stimmrechtsvollmachten europaweit eingeführt.
In der Nachfolge offenbarte – aus Sicht der Europäischen Kommission – die Finanzkrise im Jahre 2008, dass Aktionäre die übermäßige und kurzfristige Risikobereitschaft von Managern unterstützten und eine damit zu stark auf kurzfristige Gewinne ausgerichtete Entwicklung der Gesellschaft förderten.
Deshalb kündigte die Europäische Kommission mit ihrem „Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance — ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen“ eine Reihe von Maßnahmen im Bereich Corporate Governance an, mit denen vor allem die langfristige und nachhaltige Mitwirkung der Aktionäre und die Transparenz zwischen Gesellschaften und Anlegern gefördert werden sollten.
Basierend auf diesem Aktionsplan ergänzte dann die Europäische Kommission die ursprüngliche Richtlinie mit der Aktionärsrechterichtlinie II, die am 17. Mai 2017 veröffentlicht und bis zum 10. Juni 2019 von den europäischen Mitgliedstaaten in nationales Gesetz überführt werden musste.
Die Änderungen der Aktionärsrechterichtlinie II lassen sich in 4 Bereiche untergliedern:
- Die Einführung von Transparenzpflichten für institutionelle Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsvertreter.Diese Verpflichtungen betreffen Veröffentlichungspflichten hinsichtlich der Anlagestrategie, der Mitwirkungspolitik und der Ausübung von Stimmrechten auf Hauptversammlungen. Darüber hinaus werden Vorgaben formuliert für eine bessere Überwachung von Vermögensverwaltern durch institutionelle Anleger und dem Umgang mit potentiellen oder tatsächlichen Interessenskonflikten.
- Die Einführung von Mitspracherechten der Aktionäre bei der Vergütung von Aufsichtsrat und Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft.Aktiengesellschaften werden verpflichtet eine Vergütungspolitik zu erarbeiten und mindestens alle 4 Jahre den Aktionären zur Abstimmung auf einer Hauptversammlung vorzulegen. Ferner werden Gesellschaften verpflichtet, einen Vergütungsbericht jährlich auf der Hauptversammlung den Aktionären zur Abstimmung zu stellen.
- Die Einführung von Regelungen für Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen.Für Geschäfte von börsennotierten Gesellschaften mit ihr nahestehenden Personen wird eine Zustimmungspflicht durch die Hauptversammlung oder den Aufsichtsrat sowie eine Bekanntmachungspflicht definiert.
- Die Einführung von Maßnahmen zur Erleichterung der Ausübung von Aktionärsrechten.Mit einem Bündel von Maßnahmen soll die Ausübung von Aktionärsrechten erleichtert werden. So werden zukünftig alle europäischen, börsennotierten Aktiengesellschaften das Recht besitzen, ihre Aktionäre zu identifizieren und diese Identifizierung von jedem europäischen Intermediär, der zwischen den Gesellschaften und den Aktionären Dienstleistungen im Bereich Wertpapierverwahrung und –verwaltung anbietet, einzufordern. Darüber hinaus werden derartige Intermediäre verpflichtet Informationen über Unternehmensereignisse der Gesellschaft – wie Hauptversammlungen oder Kapitalmaßnahmen – unverzüglich weiterzuleiten und gleichzeitig sicherzustellen, dass Aktionäre diesbezügliche Rechte gegenüber der Gesellschaft ausüben können.
BNP Paribas Securities Services unterstützt diese Maßnahmen. Wie wir in einem früheren Memo zur Regulierung bereits festgestellt hatten, kann eine größere Transparenz die Interaktion zwischen Emittenten und ihren Aktionären fördern. In Verbindung mit anderen Initiativen, die ein langfristiges Engagement und die Diversifizierung der Finanzierungsquellen für Emittenten zum Ziel haben, kann die Aktionärsrechterichtlinie II zu einer nachhaltigen Mitwirkung und Beteiligung in Aktiengesellschaften führen.
Welche Bedeutung hat die Aktionärsrechterichtlinie II für Verwahrstellen und andere Intermediäre?
Die Aktionärsrechterichtlinie bewirkt eine Transformation bisher vertraglich regulierter Aspekte der Wertpapierverwahrung und –verwaltung in nationales Recht. Um in diesem Zusammenhang unterschiedliche nationale Ausprägungen zu verhindern bzw. zu minimieren und somit die Wertpapierdienstleistungen innerhalb Europas zu harmonisieren, hat die EU Kommission zusätzlich die Durchführungsverordnung 2018/1212 am 3. September 2018 erlassen. Diese enthält eine bindende Liste von Verpflichtungen sowohl für Emittenten als auch für Intermediäre, einschließlich Verwahrstellen und sonstigen Wertpapierdienstleistern, die am 3. September 2020 in Kraft treten werden.
Die Durchführungsverordnung skizziert das Ziel einer vollautomatisierten, standardisierten Kommunikation zwischen Aktiengesellschaft und deren Aktionäre vermittelt durch Intermediäre. Hierfür werden im Einsatz moderner Technologien und in den für diese Verfahren eingesetzte Dienstleistungserbringer bedeutende Faktoren erkannt, die die Wertschöpfungskette zukünftig noch effizienter gestalten könnten.
Als Basis für eine derartige Entwicklung definiert die EU Kommission mit der Durchführungsverordnung technische Mindestanforderungen. So werden detailliert Anforderungen bezüglich der technischen Nachrichtenarten, deren Detailtiefe und Formate vorgegeben. Diese Vorgaben sollen dann auch bereits heute sicherstellen, dass sowohl die Aktionäre wie auch die jeweilige Aktiengesellschaft die notwendigen Informationen erhalten.
Neben diesen technischen Anforderungen wird die Weitergabe von Informationen über Unternehmensereignisse und die Weitergabe von Aktionärsweisungen reguliert.
So werden Gesellschaften verpflichtet Informationen über Unternehmensereignisse an die Intermediäre weiterzuleiten, damit diese innerhalb des gleichen Tages die eigenen Kunden unterrichten können.
Ferner werden Intermediäre gesetzlich verpflichtet, die Ausübung von Aktionärsrechten sicherzustellen und im Gegenzug werden Gesellschaften verpflichtet, den Erhalt bzw. die Ausübung von Stimmrechtsweisungen zu bestätigen und das Ergebnis einer freiwilligen Kapitalmaßnahme mitzuteilen.
In diesem Zusammenhang werden dann auch Inhalte für Weisungen von Aktionären vorgegeben. So werden zum Beispiel keine Sammelweisungen von Stimmrechten mehr möglich sein, da Aktionäre nur noch im eigenen Namen an einer Hauptversammlung partizipieren können.
Kern der Aktionärsrechterichtlinie II ist das Recht der Aktiengesellschaften, ihre Aktionäre zu identifizieren. Damit soll die direkte Kommunikation zwischen den Gesellschaften und deren Aktionären ermöglicht werden, was die Ausübung der Aktionärsrechte erleichtern soll. Dementsprechend werden die depotführenden Banken der Aktionäre, wie auch die Verwahrstellen verpflichtet, Bestandsbestätigungen auf Anfrage des Aktionärs zu erstellen. Womit Aktionäre gegenüber den Gesellschaften die Ausübung ihrer Rechte unter bestimmten Bedingungen einfordern können.
Gemäß diesem Ansatz können Aktionäre einer Offenlegung durch Intermediäre nicht widersprechen. Deshalb sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, sicherzustellen, dass die Verpflichtung der Intermediäre zur Offenlegung von Aktionärsdaten nicht zu Konflikten mit Verschwiegenheitspflichten und dem Datenschutz führt.
Die aus der Aktionärsrechterichtlinie II und der Durchführungsverordnung resultierende Komplexität stellt Intermediäre – einschließlich Verwahrstellen und sonstige Wertpapierdienstleister – vor operative und technische Herausforderungen. So erzwingen die Pflichten im Zusammenhang mit der Aktionärsidentifikation die Einführung zusätzlicher Prozesse und technischer Neuerungen, die nicht originär zur Wertpapierverwahrung und –verwaltung gehören.
Können neue Technologien – und insbesondere die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) – die Beziehungen zwischen Emittenten und ihren Aktionären neu definieren?
Wenn es eine Kette von Intermediären gibt (insbesondere in grenzüberschreitenden Situationen) und die Parteien spezifische Informationen im ISO-Format und mit elektronischen Mitteln entlang dieser Kette unverzüglich übermitteln müssen, dann könnten auch neue Technologien, insbesondere DLT, den Aktiengesellschaften und Intermediären helfen, die neuen Anforderungen zu erfüllen.
DLT ist eine der Optionen, die derzeit von der Branche geprüft wird. Diese Technologie bietet auf jeden Fall die Voraussetzungen dafür, die Transparenzanforderungen der Richtlinie erfüllen zu können. Darüber hinaus verlangt die Durchführungsverordnung von den Intermediären eine unverzügliche Übermittlung der relevanten Informationen – auch dafür ist die Distributed-Ledger-Technologie gut geeignet.
BNP Paribas Securities Services ist derzeit an diversen Gesprächen, Arbeitsgruppen und Marktinitiativen in diesem Bereich auf nationaler und europäischer Ebene beteiligt. So arbeiten wir beispielsweise mit einer Reihe von großen Verwahrstellen und Marktteilnehmern im Infrastrukturbereich zusammen, um das Potenzial zur Schaffung unabhängiger Programme oder Marktstandards, die als „Golden Source“ zur Verwendung durch alle Intermediäre entlang der Kette fungieren können, zu nutzen.
BNP Paribas Securities Services ist fest davon überzeugt, dass die Aktionärsrechterichtlinie II Möglichkeiten bietet, die erst in der Zukunft zum Wohle der Kunden – der Aktionäre und Emittenten – voll ausgeschöpft werden können.
Wird es eine europaweit einheitliche Anwendung der Aktionärsrechterichtlinie II geben?
Da die Aktionärsrechterichtlinie II keine Verordnung ist, haben die EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich einen gewissen Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Vorschriften in ihr jeweiliges nationales Recht. Darüber hinaus formuliert die Richtlinie neben den verpflichtenden Vorgaben eine Reihe von Kann-Bestimmungen, die die verpflichtenden Vorgaben erweitern oder einschränken.
So sollen die Mitgliedsstaaten zum Beispiel sicherstellen, dass Aktiengesellschaften eine Vergütungspolitik in Bezug auf die Mitglieder der Unternehmensleitung erarbeiten und dass die Aktionäre das Recht haben, über die Vergütungspolitik in der Hauptversammlung abzustimmen. Nachfolgend wird die Möglichkeit eingeräumt, dass Mitgliedstaaten vorsehen können, dass eine derartige Abstimmung in der Hauptversammlung lediglich empfehlenden Charakter hat.
Ein weiteres Beispiel ist die Übermittlung der Aktionärsdaten im Rahmen einer Aktionärsidentifikation. Mitgliedsstaaten haben sicherzustellen, dass Gesellschaften Informationen über die Identität des Aktionärs direkt von jedem Intermediär, der über die Informationen verfügt, unverzüglich erhalten kann. In den beiden folgenden Kann-Bestimmungen wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben, die Verpflichtung der Intermediäre zu erweitern. Danach können Mitgliedstaaten vorsehen, dass nicht nur Informationen über die Aktionäre sondern auch Informationen über die nächsten Intermediäre in der Verwahrkette weitergegeben werden müssen. Ferner kann vorgesehen werden, dass Gesellschaften von Intermediären verlangen können, die Informationen über die Identität von Aktionären, auch von Intermediären in der Kette, zu erfragen, einzuholen und diese Informationen dann der Gesellschaft zu übermitteln.
Doch alleine die Transformation in das jeweilige bestehende nationale Recht bewirkt eine Diversifikation.
So bleibt z.B. in Österreich der Prozess der Anmeldung zu einer Hauptversammlung in Schrift- bzw. Textform bestehen und der durch die Aktionärsrechterichtlinie II und der Durchführungsverordnung vorgegebene Anmeldeprozess wird als zusätzliche Anforderungen etabliert. In anderen Ländern genügt die Anmeldung gemäß der Durchführungsverordnung.
Ein deutsches Beispiel ist die rechtliche Gleichsetzung eines Aktionärs, der durch eine Aktionärsidentifikation erkannt wird, mit einem Aktionär der im Namensaktienregister eingetragen ist, welches in dieser Form im europäischen Ausland nicht gekannt wird und neben anderen Schwierigkeiten das Risiko der doppelten Ausübung von Aktionärsrechten birgt.
Die Aktionärsrechterichtlinie II wird eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen nationalen rechtlichen Ausprägungen nicht erreichen. Damit werden Intermediäre mit einer komplexen, rechtlichen Situation konfrontiert. Auch bleiben rechtliche und daraus resultierende operative Grundlagen auf denen Unternehmensereignisse aufbauen national unterschiedlich ausgeprägt. Demzufolge ist es notwendig, dass weitere Harmonisierungen auf europäischer Ebene folgen und darüber hinaus flexible, branchenweite IT-Lösungen angestrebt werden, die die unterschiedlichen nationalen Erfordernisse abdecken und eine vollautomatisierte Interaktion innerhalb der Kette von Intermediären ermöglichen.
BNP Paribas Securities Services ist fest davon überzeugt, dass die Aktionärsrechterichtlinie II ein Schritt in die richtige Richtung ist und neue Möglichkeiten für erfolgreiche Entwicklungen marktbestimmter Lösungen schafft. Neue Technologien und Dienstleistungen werden dabei eine zentrale Rolle spielen.