Das Potenzial von ESG-Stewardship für eine nachhaltige Zukunft freisetzen

Wie Asset Manager ESG-Stewardship im Sinne einer nachhaltigen Zukunft in ihre Anlageentscheidungsprozesse integrieren.

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Die Herausforderungen auf unserem Planeten nehmen unaufhaltsam zu. Daher ist es dringender denn je, Stewardship-Verantwortung für die Belange aus Umwelt-, Sozial- und Governance (ESG) zu übernehmen.

Das vergangene Jahr war das heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen – einen Umstand, den wir zukünftig immer häufiger zu hören bekommen dürften. Einst ein beunruhigender Ausreißer, der nur die visionärsten Versicherungsunternehmen betraf, sind extreme Wetterereignisse heute zur täglichen Realität geworden. Die Financial Times spricht sogar von der Entstehung einer „nicht versicherbaren Welt“.

Damit der angerichtete Schaden nicht irreversibel, wird ist dringendes Handeln gefordert: Noch besteht Hoffnung.

Das wegweisende Pariser Abkommen im Jahr 2015 hat die Rolle des Privatsektors bei der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft untermauert. Seither sind ESG-Grundsätze mehr und mehr als fester Bestandteil in die Geschäftsabläufe integriert worden. Das gilt auch für den Finanzsektor.

Aufgrund des Umfangs der verwalteten Vermögenswerte und der tagtäglich anfallenden Finanzströme sind die Wealth- und Asset Manager zentrale Akteure, wenn es darum geht, den grünen Wandel voranzutreiben. Dieser lässt sich nicht nur dadurch erreichen, dass Investitionen in Vermögenswerte gelenkt werden, die ESG-Prinzipien umsetzen und fördern, sondern auch dadurch, dass alle beteiligten Unternehmen in Richtung Dekarbonisierung gelenkt werden. Somit ist ESG-Stewardship, d. h. die Wahrnehmung der treuhänderischen Verantwortung in Bezug auf ESG-Aspekte, ein kritisches Werkzeug, um die nachhaltige Transformation der Weltwirtschaft voranzutreiben.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob dieses Instrument in vollem Umfang bereits genutzt wird.

Asset Manager haben erheblichen Einfluss…

Gemäß den Principles for Responsible Investment der UN wird Stewardship definiert als „die Einflussnahme institutioneller Anleger zur Maximierung des langfristigen Gesamtwerts, einschließlich des Wertes gemeinsamer wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Vermögenswerte, von denen die Renditen und die Interessen der Kunden und Begünstigten abhängen“. Anders ausgedrückt: Stewardship umfasst den aktiven Dialog der Asset Manager mit ihren Beteiligungsunternehmen, um unter anderem die Geschäftsstrategie, die Richtlinien und Prozesse für das Risikomanagement oder eben ESG-Gesichtspunkte im langfristigen Interesse ihrer Kunden festzulegen.

Ende 2022 betrug das weltweit verwaltete Vermögen (AuM) USD 115,1 Billionen. Somit haben Asset Manager grundsätzlich erheblichen Einfluss darauf, wie Unternehmen ihre Geschäfte führen. Dies gilt auch für die Manager von alternativen Anlagen, deren AuM sich zum genannten Zeitpunkt auf USD 18 Billionen beliefen – eine Zahl, die noch steigen dürfte, da alternative Anlagen sowohl bei privaten als auch bei institutionellen Anlegern immer beliebter werden.

Stand 2021 hielten die drei größten Asset Manager in den Vereinigten Staaten, sprich BlackRock, Vanguard und State Street Global Advisors, schätzungsweise 21,9 % der Anteile an den Unternehmen des S&P 500. Jüngsten wissenschaftlichen Studien zufolge verfügen die „Großen Drei“ über eine „beträchtliche Stimmrechtsmacht“, die „bestehen bleiben dürfte“ und „eher zunehmen wird“.

In Europa verpflichtet die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (SFDR) Finanzmarktteilnehmer, darunter die Manager klassischer und alternativer Investmentfonds, auf ihren Websites kurze Zusammenfassungen ihrer Mitwirkungspolitik gemäß der EU-Aktionärsrechterichtlinie zu veröffentlichen und zu pflegen. Frédéric Vonner, Sustainable Finance & Sustainability Lead bei PwC Luxemburg, erklärt hierzu: „Grundsätzlich könnten die SFDR-Transparenzanforderungen zur Mitwirkungspolitik insbesondere diejenigen Asset Manager, die ihre Nachhaltigkeitsbilanz verbessern wollen, dazu ermutigen, bei ihren Beteiligungsunternehmen in Bezug auf ihr ESG-Stewardship aktiver zu sein.“

In Luxemburg, ein internationaler Vorreiter beim Thema nachhaltige Finanzen, „überprüft die lokale Aufsichtsbehörde regelmäßig die Verwaltungsgesellschaften, um sicherzustellen, dass sie eine Stewardship-Politik entwickeln und durchsetzen“, fügt Vonner hinzu.

Während klassische Asset Manager über die Stimmrechtsausübung bei Hauptversammlungen sowie mittels Aktionärsanträgen durchaus Einfluss auf ihre Beteiligungsunternehmen nehmen können, haben Asset Manager von alternativen Anlagen, die an privaten Märkten tätig sind, in der Regel einen deutlich größeren Einfluss auf ihre Portfoliounternehmen.

Jean-Florent Richard, ESG Regulatory Lead im Geschäftsbereich Securities Services von BNP Paribas, betont, dass „Hedgefonds und Private-Equity-Unternehmen im Vergleich zu klassischen Asset Managern eher dazu tendieren, sich aktiv für Dekarbonisierungsinitiativen in ihren Portfoliounternehmen einzusetzen“.

In Anlehnung an die Ergebnisse des BNP Paribas ESG Global Survey 2023 hebt Richard hervor, dass „Asset Manager von alternativen Investments mit ihren beträchtlichen Beteiligungen und ihrer Vertretung in den Gremien einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Geschäftsstrategie von Portfoliounternehmen ausüben“. Dies kann z. B. bedeuten, „einen Plan für den Klimawandel mit klaren Netto-Null-Zielen und übergreifenden ESG-Prinzipien für das gesamte Unternehmen aufzustellen, sodass die aktive Beteiligung tatsächlich gelebt wird“.

…doch das Potenzial wird nicht voll genutzt

Stimmrechtsvollmachten bieten Asset Managern die formale Möglichkeit, ihre Meinung zu wichtigen Themen zu äußern und ihr Engagement für ESG-Belange zu zeigen. In der Praxis wird ESG-Stewardship allerdings wohl nicht in ausreichendem Maße derart umgesetzt, dass es die langfristigen Interessen der Anleger berücksichtigt.

So stellte das UK Asset Owner Roundtable im November 2023 eine „erhebliche“ Diskrepanz zwischen den Präferenzen der Anleger und den ausgeübten Stimmrechtsvollmachten bei Öl- und Gasunternehmen fest. Die in London ansässige zivilgesellschaftliche Initiative ShareAction, die sich für ESG-Grundsätze bei Unternehmensentscheidungen einsetzt, veröffentlichte kurz darauf ihren Bericht „Voting Matters 2023“, in dem sie einen „Rückschritt“ der größten Asset Manager bei der Unterstützung von ökologisch und sozial ausgerichteten Aktionärsanträgen in ihren Beteiligungsunternehmen feststellte.

Dennoch meint Jane Wilkinson, Non-executive Director mit Sitz in Luxemburg und Gründerin von Ripple Effect, dass „Asset Manager in Europa tendenziell aktiver im Bereich ESG-Stewardship sind als ihre Pendants in anderen Ländern“. Diese Auffassung wird auch durch den bereits erwähnten Bericht von ShareAction bestätigt, in dem betont wird, dass die regulatorische Entwicklung im Bereich nachhaltige Finanzen in Europa „das Abstimmungsverhalten der europäischen Asset Manager in Bezug auf ESG-Themen verbessert zu haben scheint“.

Kurs auf verantwortliches ESG-Stewardship

Die in letzter Zeit zu beobachtende Anti-ESG-Bewegung basiert zum Teil auf der Vorstellung, dass sich finanzielle Performance und ESG-Faktoren gegenseitig ausschließen, da sich letztere angeblich negativ auf erstere auswirken und somit zu einer Verletzung der treuhänderischen Pflichten eines Asset Managers führen.

Doch angesichts der schädlichen Auswirkungen des Klimawandels und des Verlusts der Biodiversität auf die Unternehmensgewinne, der sich ändernden Erwartungen der Stakeholder und der gravierenden Reputations- und Rechtsrisiken, die sich aus einer schlechten ESG-Erfolgsbilanz und der fehlenden Einhaltung von ESG-Bestimmungen ergeben, greift dieses Argument nur in der kurzfristigen Betrachtung.

„Viele Asset Manager ignorieren den Verlust der Biodiversität und den Klimawandel auf eigene Gefahr“, so Frédéric Vonner. „Wir erleben heute schon, wie ganze Sektoren – von der Versicherungsbranche und der Immobilienwirtschaft bis hin zu Produktion und Handel – durch extreme Wetterereignisse, die aufgrund des Zusammenbruchs von Ökosystemen noch verstärkt werden, ins Wanken geraten.“

Der von Nikko Asset Management verfolgte Anlageansatz verdeutlicht, wie ESG-Belange und finanzielle Performance Hand in Hand gehen. Laut Natalia Rajewska, Global Head of Sustainable Investment bei Nikko Asset Management, ist das Unternehmen der festen Überzeugung, „dass Stewardship, einschließlich treuhänderischer und ESG-bezogener Überlegungen, zur langfristigen Wertschöpfung von Unternehmen und zur Realisierung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums beiträgt“. Darüber hinaus berücksichtige das Unternehmen ESG-Prinzipien in seinem Anlageprozess, da man sie als wesentlichen Bestandteil der treuhänderischen Verpflichtung den Kunden gegenüber betrachte.

ESG-Stewardship darf also nicht auf eine reine Pflichtübung reduziert werden. Vom direkten Dialog mit dem Management der Beteiligungsunternehmen bis hin zur Ausübung von Stimmrechtsvollmachten bei wichtigen Beschlüssen kann es bei angemessener Umsetzung zu einem leistungsfähigeren und effizienteren Risikomanagement und höheren Renditen führen sowie signifikant auf Nachhaltigkeitsfaktoren einzahlen.

Aufgrund der umfangreichen Asset Manager Erfahrung in Luxemburg plädiert Jane Wilkinson für einen zweigleisigen Ansatz, bei dem „Asset Manager und Verwaltungsräte von Fonds proaktiv und klar kommunizieren, was ihre ESG-Ziele und -Herausforderungen sind“, während sie gleichzeitig „regelmäßig den Dialog mit ihren Anlegern suchen, um alle notwendigen Vorgaben und Erwartungen in Erfahrung zu bringen und so besser verstehen zu können, wie man einen ESG-Übergang einleiten kann. Ein solcher Dialog mit in der Regel institutionellen Investoren trägt auch dazu bei, eine geeignete Grundlage für Anlagestrategien bei Finanzprodukten für Privatanleger zu schaffen.“

Wilkinson weiter: „Letztendlich müssen die Geschäftsführungen das große Ganze im Blick behalten. Nämlich wie wichtig es ist, die mit ESG-Belangen verbundenen zukünftigen Chancen und Risiken ernsthaft abzuwägen und zu berücksichtigen, d. h. proaktive Asset Manager als Partner zur Förderung der Wertschöpfung zu betrachten und bei den weniger aktiven Managern darauf hinzuwirken, dass die notwendigen Maßnahmen vorangetrieben werden.“

Frédéric Vonner betont zudem, dass „proaktives und transparentes ESG-Stewardship auf Nachhaltigkeit fokussierten Asset Manager dabei helfen könnte, sich von ihren Wettbewerbern abzuheben und neuen Branchentrends einen Schritt voraus zu sein.“ Erfolgreiche Asset Manager werden in Zukunft wohl eine vollständige Integration von ESG-Aspekten in ihre gesamte Produktpalette aufweisen, mit einer klaren verantwortlichen Anlagepolitik, die robuste Stewardship-Strategien beinhaltet, um die ESG-Transformation der Beteiligungsunternehmen voranzubringen.

Dabei herrscht kein Mangel an ESG-bezogenen Themen, die eine aktive Zusammenarbeit zwischen Beteiligungsunternehmen und Asset Manager erfordern.

Die oben angesprochene Studie von BNP Paribas hebt hervor, dass für die 50 % der Befragten, die eine aktive Beteiligung im Rahmen ihrer ESG-Anlagepolitik planen, in den nächsten zwei Jahren neben Klimawandel und Dekarbonisierung auch Biodiversität und Gesundheit – zwei Themen, die für Anleger zunehmend an Bedeutung gewinnen – im Vordergrund stehen werden.

Es ist effizienter, bestehende Unternehmen zu transformieren als auf Schumpeters Prozess der „kreativen Zerstörung“ zu warten, bei dem Unternehmen, die für eine dekarbonisierte Zukunft schlecht gerüstet sind, verschwinden und durch eine schillernde Vielzahl an grünen Start-ups ersetzt werden, deren Erfolg und Überleben alles andere als gesichert ist.

Anstatt Unternehmen durch Veräußerungen zu bestrafen, sollten Asset Manager die an öffentlichen und privaten Märkten aktiv sind, ihre Aktionärsrechte gezielt dazu nutzen, die Unternehmen in Richtung eines ESG-orientierten Handelns zu lenken. „Auch wenn die Hauptverantwortung bei den Unternehmen liegt, deren Aktivitäten negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft haben könnten, agieren Asset Manager, wie alle anderen Finanzinstitute auch, in diesem Prozess als Vermittler, indem sie Kapital verteilen und Risiken übernehmen“, so Jean-Florent Richard von BNP Paribas. „Ihr fundamentaler Zweck ist die Bereitstellung von Finanzmitteln und Ressourcen für die Wirtschaft“.

Wie Natalia Rajewska erklärt, ist sich Nikko Asset Management seiner „übergeordneten Rolle als Hüter der Marktintegrität und seiner Verantwortung bewusst, systemische Risiken zu minimieren, um sicherzustellen, dass die Märkte weiterhin zum Nutzen der gesamten Gesellschaft funktionieren“. Eine übergreifende Vision dieser Art in Bezug auf ESG-Stewardship eignet sich auch für den Rest der Branche als Richtschnur.