EU-Regulierung bei Drittländern: Eine Welt der zunehmenden Divergenzen

Das Ende der Brexit-Übergangsphase ist gleichzeitig der Beginn einer neuen regulatorischen Ära für die Europäische Union und Großbritannien mit weitreichenden Folgen für andere Drittländer. Während sich die bisherigen Schlagzeilen auf die Verlagerung der Handelsflüsse zwischen London und den europäischen Finanzzentren sowie das Thema Delegierung des Assets Managements konzentriert haben, wurden Nachhandelsprobleme eher am Rande erwähnt. Die Auswirkungen werden jedoch mindestens genauso bedeutsam sein.

In den kommenden Monaten und Jahren werden die Beziehungen zwischen den 27 EU-Staaten und Drittländern mit Fokus auf das Ausmaß der Kooperation, sowie auch die entstehenden Divergenzen im Mittelpunkt der regulatorischen Agenda stehen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Szenarien im Bereich Nachhandelsdienstleistungen.

Zugang zu Infrastrukturen

Einer der Hauptaspekte wird der Zugang zu den Finanzmarktinfrastrukturen (FIM) sein. Es handelt sich hierbei um jene Institutionen, die für Abrechnung und Abwicklung der Transaktionen verantwortlich sind und somit einen wesentlichen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren der Märkte leisten. Diesbezüglich haben die Europäische Kommission und die britischen Behörden bereits signalisiert, dass sie jeweils die Kontrolle über die Abwicklung der Transaktionen behalten wollen.

Euroclear kann als eines der ersten Beispiele gelten. Der in London ansässige Zentralverwahrer Euroclear UK & Ireland fungierte lange Zeit als zentrale Wertpapierverwahrstelle für irische und britische Wertpapiere. Diese Funktion endete mit dem Brexit. Nach der Übergangsphase wurde Euroclear eine sechsmonatige Frist gewährt, um die Abwicklung irischer Wertpapiere auf die Euroclear Bank in Brüssel zu übertragen, was Mitte März geschah.

Für die zentralen Gegenparteien (Central Counterparties – CCPs) stellt sich die Situation komplizierter dar. Die Europäische Kommission hat dem Vereinigten Königreich aus Gründen der Finanzstabilität eine befristete Äquivalenzentscheidung für Abwicklungsdienste der CCPs gewährt. Diese Schonfrist endet am 30. Juni 2022. Derzeit scheint eine Verlängerung unwahrscheinlich.

In der Zwischenzeit hat die Kommission die Marktteilnehmer der 27 EU-Staaten aufgefordert, die Zeit zu nutzen, sich von britischen CCPs zu lösen. In der am 19. Januar 2021 veröffentlichten Mitteilung über das europäische Wirtschafts- und Finanzsystem werden die Ambitionen der Kommission zur Stärkung der FMI der EU und zur Förderung der internationalen Rolle des Euro dargelegt:

  • In der Mitteilung wird die Erwartung bekräftigt, dass Clearingmitglieder der EU und Marktteilnehmer eine „übermäßige“ Abhängigkeit von systemrelevanten britischen CCPs reduzieren und insbesondere ihre Positionen in auf Euro lautenden OTC-Derivaten verringern.
  • Die Kommission wird gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank und anderen Aufsichtsbehörden im Rahmen von Arbeitsgruppen zusammen mit dem Finanzsektor ausloten, welche technischen Schwierigkeiten mit der Übertragung von auf Euro lautenden Kontrakten auf zentrale Gegenparteien in der EU verbunden sein könnten. Das längerfristige Ziel besteht darin, auch eine Migration der auf EU Währungen lautenden Kontrakte und Transaktionen in die EU zu vollziehen.

Empfehlungen zur Reduzierung der Abhängigkeit europäischer Marktteilnehmer von systemrelevanten CCPs werden bis Mitte 2021 herausgegeben.

Fragmentierungsrisiken

Die Effizienz eines CCP hängt von der Maximierung der Liquidität ab, da Clearingmitgliedern die Vorteile des sogenannten Cross Margining genießen. Kunden profitieren von größeren Liquiditätspools auch dadurch, dass sie ihre Kontrahentenausfall- und Abwicklungsrisiken begrenzen können. Die Beibehaltung dieser Vorteile wird auch davon abhängen, ob die Aufsichtsbehörden andere nicht in der EU ansässige Clearingmitglieder und vor allem britische Mitglieder dazu auffordern, ihre auf den Euro lautenden Transaktionen ebenfalls auf europäische CCPs zu übertragen, um eine Fragmentierung der Liquidität zu vermeiden.

Bereiche, in denen das Vereinigte Königreich abweicht

Das Vereinigte Königreich wird wohl kaum sein bestehendes Regelwerk abschaffen und sich zu einem Finanzzentrum mit geringer Regulierung und hohem Risiko entwickeln wollen. Es zeigen sich jedoch bereits Bereiche, in denen Divergenzen bestehen.

Einer davon ist die Verordnung über Zentralverwahrer (Central Securities Depository Regulation – CSDR) mit den Regelungen zur Verbesserung der termingetreuen Belieferung von Wertpapiertransaktionen. Die britische Regierung hat angekündigt, dass sie die Regeln der CSDR zur Abwicklungsdisziplin mit Eindeckungspflicht, Entschädigung bei fehlgeschlagener Belieferung und Sanktionsmechanismen der Zentralverwahrer nicht einführen will. Die Marktteilnehmer werden sich stattdessen auf die bestehenden, in der Branche üblichen Rahmenbedingungen für die Abwicklungsdisziplin verlassen müssen.

Eine weitere Divergenz betrifft die Aktienhandelspflicht gemäß der europäischen Finanzmarktverordnung (Markets in Financial Instruments Regulation – MiFIR), die die Marktteilnehmer u.a. dazu verpflichtet, Aktien an einem Handelsplatz zu kaufen bzw. zu verkaufen. Die britische Financial Conduct Authority wird im Rahmen ihrer sogenannten Temporary Transitional Power britischen Firmen weiterhin den Handel mit allen Aktien an europäischen Handelsplätzen gestatten.

Ein Verzicht auf Unterstützung der Anforderungen für einen offenen Zugang gemäß der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II), die den diskriminierungsfreien Zugang zu Handelsplätzen und CCPs vorschreibt, könnte eine dritte Divergenz darstellen. Aus Sicht der Marktteilnehmer ist offener Zugang zu den Märkten eine willkommene Entwicklung, da er Transparenz und Wettbewerb fördert und so für einen verbesserten Service und niedrigere Gebühren sorgt. Wenn Großbritannien hier einen Rückzieher macht, würden sich diejenigen EU-Mitgliedstaaten bestätigt fühlen, die ebenfalls gegen einen offenen Zugang sind.

Regulierungsunterschiede vermeiden

Mit Ablauf der Brexit-Übergangsphase wird es verstärkt auf die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden beider Seiten ankommen.

Bei anderen Drittländern ist bereits eine Regulierungskluft gegeben. So hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde seit Inkrafttreten der EU-Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (European Market Infrastructure Regulation – EMIR) im Jahr 2012 noch keinen CCPs, die unter Aufsicht der US-amerikanischen Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde stehen, die Äquivalenz gewährt. Die Äquivalenz der schweizerischen Börse wurde im Juli 2019 aberkannt. Es bleibt abzuwarten, ob die EU bei ihren künftigen Beziehungen zu Großbritannien einen anderen Ansatz wählt.

Bei bestimmten regulatorischen Themen, bei denen die Koordination zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich besonders wichtig ist, würde sich eventuell ein formelles aber unverbindliches Diskussionsforum anbieten, das die britischen Behörden in gewisser Weise in den Gesetzgebungsprozess der EU einbindet, aber ohne die Möglichkeit, Vorschriften abzulehnen oder zu ändern. Somit ließen sich unerwünschte Folgen für die EU und deren Marktteilnehmer verhindern. Die britischen Behörden verfügen über weitreichende Kenntnisse und Erfahrung, die bei der Festlegung künftiger Regularien wertvoll sein könnten. Ende März 2021 wurde bekannt gegeben, dass die EU und Großbritannien die Schaffung eines gemeinsamen Forums diskutieren, das mindestens zweimal jährlich zusammenkommen soll, um Themen im Bereich Finanzdienstleistungen zu erörtern.

Eine regulatorische Fragmentierung bringt Komplexität und Mehrkosten mit sich. Aus Sicht vieler Marktteilnehmer in der Europäischen Union sowie in Großbritannien ist zu hoffen, dass zukünftig bei relevanten Themen die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Vordergrund steht.